Gerade in Besprechungen schleicht sich der Brauch ein, dass Kollegen die Zeit mit dem Beantworten von E-Mails, dem Lesen von Newslettern oder ihren Smartphones verbringen. Sie verlieren den Fokus auf das Hier und Jetzt. Und verpassen so die Chance zu erkennen, wie das Gesagte beim Gegenüber ankommt. Der (Gemeinschafts)Sinn, der in Sitzungen entsteht, geht so verloren. Ist der Stress, den wir alltäglich empfinden, darin begründet, dass wir zu viele Dinge parallel tun? Schluss mit Teilnahmepflicht für Besprechungen! Wie Sinn zu lebendiger Kultur eines Unternehmens wird (Fotostory).

Antonia, Britta, Carmen, Dorothea und Elisabeth sind Kolleginnen. Sie sollen ein Konzept zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf voran bringen. Von den Inhabern der Firma beauftragt, erarbeiten sie in einem ersten Arbeitspaket, welche Dienstleistungen benötigt werden. Sie recherchierten zuerst, was vergleichbare Firmen im Umfeld anbieten und welche Programme der Staat unterstützt. Daraus entstand eine Beschlussvorlage für das Programm ihrer Firma. Heute präsentieren sie die Ergebnisse und diskutieren mit der Geschäftsleitung. Von diesem Treffen hängt ab, was sie umsetzen.











Sie hätten Dorothea fragen können. Doch darauf kommt keine der Vier. Dorothea selbst hätte den Unmut der anderen wahrnehmen und sich erklären können. Sie hat die Chance verpasst, ihr Verhalten zu begründen.
Multitasking in Besprechungen nimmt Raum für Sinn
In unserer Arbeitswelt sind diese und ähnliche Szenen häufiger anzutreffen. Abhängig vom Temperament der Beteiligten geschieht es mal etwas lauter oder auch sehr leise. Gerade in Besprechungen, in Strategietreffen oder bei Präsentationen von Projektergebnissen schleicht sich der Brauch ein, dass Kollegen gedanklich oder defacto mit anderen Dingen beschäftigt sind. Sie verlieren den Fokus auf das Hier und Jetzt. Und verpassen so die Chance zu erkennen, wie das Gesagte beim Gegenüber ankommt. Der Sinn, der in gemeinsamen Sitzungen entsteht, geht so verloren.
Dies wirft Fragen auf: Sind die Ressourcen gut genutzt? Ist der Stress, den wir alltäglich empfinden, auch und gerade darin begründet, dass wir mit zu vielen Dingen parallel beschäftigt sind? Letztendlich beantwortet diese Fragen jeder für sich selbst. Uns interessiert: Welche Kultur des Miteinanders entsteht bei dieser Form von Multitasking? Tut uns dieses Verhalten als Gemeinschaft gut? Gibt es Alternativen?
Vermutungen Interpretation Vorurteile Eine explosive Mischung.
Kommen wir zurück zum Fallbeispiel. Was passiert nun? Die Vermutung liegt nahe, dass Dorothea ihrer Wege geht, ohne sich Gedanken über die anderen und das Projekt zu machen. Sie war für die Zeit des Treffens schlicht und einfach nicht sinngekoppelt. Sie kannte die Präsentation. Sie kannte die Ergebnisse. Sie wollte ihre Zeit mit etwas für sie Sinnvollerem zubringen und nicht aktiv an der Besprechung teilnehmen. Ihr Engagement beschränkte sich darauf, anwesend zu sein. Das ist durchaus legitim und nachvollziehbar. Dabei missachtet sie jedoch, dass Carmen, Britta und Antonia einen Sinn in etwas finden, dem sie offensichtlich nichts dergleichen abgewinnen kann.
Ihre mangelnde Aufmerksamkeit hat ebenso zur Folge, dass sich die am Gespräch Beteiligten ignoriert fühlen. Wir Menschen sind dazu veranlagt, Gefühle zu spiegeln. Das führt dazu, dass die Achtung der anderen Dorothea gegenüber gesunken ist. Sie hat es vermutlich nicht einmal bemerkt. Dorothea könnte sich die Frage stellen, warum sie überhaupt zur Sitzung gegangen ist?
Auch das Verhalten von Antonia, Britta und Carmen können wir nachempfinden. Wir sind Menschen – keine Maschinen. Doch bringt es sie weiter? Sie laufen Gefahr, sich in Spekulationen über die Frage zu verlieren: Wie kann man sich nur so verhalten? Alle Drei respektieren dabei zu keinem Zeitpunkt, dass Dorothea nicht immer sinnkoppeln muss.
Über Dritte in ihrer Abwesenheit schlecht zu sprechen, ist eine Ausprägung von Rangkämpfen
Wir erheben uns über andere, ohne in eine direkte Konfrontation gehen zu müssen. Das tun wir selbst dann, wenn wir uns in einem anderen Fall aus guten Gründen ähnlich verhalten. Wer in einer Besprechung noch nie auf sein Smartphone geschaut hat, werfe den ersten Stein. Uns sollte klar sein, dass ich es beim nächsten Mal sein kann, über die gesprochen wird. Hinter dem Rücken schlecht über andere zu reden, bindet Kraft in verborgenen Rangeleien. Energie, die einem möglichen konstruktiven Miteinander fehlt.
Je emotionaler wir über andere ohne deren Beisein diskutieren, desto einfacher ist es, ihr Verhalten voreingenommen zu bewerten. So philosophieren wir nach eigenem Gusto, wie arrogant, ignorant oder gar dumm besagte Kollegin oder in einem anderen Fall vielleicht der Chef bzw. Mitarbeiter sei. Wir sind sicher: Was die da machen, hat keinen Sinn. Noch dazu, wenn es um ein Projekt geht, das wir – aus eigener Überzeugung – zum Wohle aller durchführen! Wir gehen dabei vorauseilend davon aus: Was für uns Sinn hat, muss auch für alle anderen sinnvoll sein. Treffen aufmerksame Führungskräfte auf eine solche Demonstration von Ignoranz, fragen sie sich vielleicht: Habe ich den Kollegen noch nicht ausreichend motiviert? Andere versuchen, den Chef beim nächsten Mal noch vehementer dazu zu bringen, den eigenen Sinn zu teilen, finden wir in ihm doch die Grundlage es eigenen Engagements. Stattdessen sollten wir zuerst respektieren, dass mein eigener Sinn für andere keineswegs bereichernd, erfüllend oder auch nur verständlich sein muss.
Positive Grundeinstellung und ein gerüttelt Maß an Toleranz
Carmen und Britta verlieren jede positive Erwartung und auch ein gerüttelt Maß an Respekt gegenüber Dorothea. Je nach Temperament regen sie sich bereits vor dem nächsten Treffen erneut auf. Sie arbeiten zuerst einmal noch härter daran, Dorothea von ihrem Engagement zu überzeugen. Verhält sich Dorothea wieder gleichgültig, potenzieren sich die Gefühlswallungen und der Frust ihrer Kolleginnen. Schlussendlich tragen Carmen und Britta ihre schlechte Laune in die breite Kollegenschaft. Im schlimmsten Fall lassen sie kein gutes Haar an ihrer Kollegin. Sie investieren ihre Energie in Spekulation, Demontage und Frustration. Und ziehen dabei andere in diesen Strudel mit hinein. Wir alle waren wohl schon einmal wie Carmen, Britta und wie Dorothea! Dabei gilt weiterhin, dass Emotionen verbinden. Doch ist es das per se gut?
Dass dieses Verhalten heutzutage viel positive Kraft kostet, belegen Studien. GALLUP beispielsweise hat ermittelt, dass 84 % der Menschen in Deutschland unzufrieden am Arbeitsplatz sind. 17% aller Arbeitnehmer arbeiten sogar aktiv gegen Kollegen und ihren Arbeitgeber. (Quelle: GALLUP Engagement Index 2013 http://www.gallup.com/strategicconsulting/158162/gallup-engagement-index.aspx)
Alarmierende Zeichen, dass wir hier etwas in unser aller Interesse ändern sollten. Das heißt, egal um welche Inhalte es auch immer gehen mag, es kommt zukünftig darauf an, die Sinnkopplung der Teammitglieder aufmerksam wahrzunehmen, zu thematisieren und damit konstruktiv umzugehen. Und auch, endlich mit der Anwesenheitspflicht in Besprechungen Schluss zu machen!
Wir wünschen viel Erfolg in der Umsetzung,
Gebhard & Franziska
Vielen Dank!
Die Fotogeschichte entstand im Rahmen unseres HR Innovation Book Sprint am 17. Mai 2014 in Frankfurt am Main. Wir danken Cornelia Reindl, Jana Schilling, Katrin Froschmeier, Sonja Leppin, Susanne Kasper und Tim Schikora – unseren Protagonisten.
Dieser Beitrag ist ein Crosspost von Lebens- und Arbeitswelten mit Zukunft.