Führen ohne Vorgesetztenfunktion im Mittelstand – Chancen und Risiken

Bedeutung des Mittelstands und seiner Organisationsstruktur

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie veröffentlichte 2012 Zahlen und Fakten zu deutschen mittelständischen Unternehmen. Da raus geht hervor, dass der Erfolg der deutschen Wirtschaft zu einem erheblichen Teil vom Mittelstand, also Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen 1 und 50 Millionen, getragen wird.

Innerhalb dieser Organisationen prägen meist traditionelle familiäre Strukturen das Bild. Rund 95 % der in Deutschland ansässigen Unternehmen bezeichnen sich selbst als familiengeführtes Unternehmen, oder es wird zum Beispiel zum Zwecke der Personalbindung ein großes Augenmerk auf Familienfreundlichkeit und ein gutes soziales Miteinander gerichtet. Aus der Tradition heraus sind die Führungsetagen der mittelständischen Unternehmen immer noch sehr männerdominiert. Mit dem aktuell stattfindenden Generationswechsel rücken aber auch in den Betrieben mit 10 bis 500 Mitarbeitern zunehmend Frauen in die Führungsebenen vor. Es trifft nun ein junger, gut ausgebildeter Nachwuchs aus der Generation 20 bis 40, der bereits im Sinne der Gleichberechtigung erzogen wurde, auf vorwiegend männliche Führungskräfte der älteren Generationen, die noch geprägt sind vom autoritären Führungsstil und klaren männerdominierten Strukturen.

Zusätzlich ist es in familiengeführten Betrieben üblich, dass vakante Führungspositionen mit Familienmitgliedern oder langjährigen Mitarbeitern nach besetzt werden. Dabei ist die Eignung der Nachwuchskräfte manchmal weniger relevant als Verwandtschaftsgrad oder ein enger Bezug zur Inhaberfamilie. Meiner Erfahrung nach haben diese Personen oftmals nicht gelernt, wie man erfolgreich Mitarbeiter motiviert, ihnen eindeutige Ziele vorgibt, Leistung regelmäßig einfordert und selbst klare Entscheidungen trifft. Viele Betriebe werden in der Folge von führungsschwachen Entscheidern dominiert, die unklare Vorgaben machen und den Handlungsrahmen der einzelnen Mitarbeiter nicht eindeutig definieren. 

Dieses Führungsvakuum bringt manche Mitarbeiter in die unangenehme Situation, im Sinne des Unternehmens die fehlende Führungsstärke und den Generationenkonflikt auszugleichen, um Streitigkeiten unter den Mitarbeitern zu vermeiden und Innovationsprozesse aufrecht zu erhalten. Dadurch kommen sie in die Rolle, entweder selbst als Führungskräfte zu agieren, ohne diesen Status offiziell innezuhaben, oder aber für die Führungskräfte entscheidungsvorbereitend tätig zu sein. In den folgenden Ausführungen sollen diese Mitarbeiter »inoffizielle Führungskräfte« genannt werden.

Rahmenbedingungen der inoffiziellen Führungskräfte im Mittelstand

Aus den geschilderten Voraussetzungen ergeben sich für die inoffiziellen Führungskräfte Rahmenbedingungen, die sie nur begrenzt beeinflussen können. Das Umfeld kann äußerst spannungsgeladen werden, wenn es zum einen gilt, zwischen der jungen und der älteren Generation zu vermitteln, und zum anderen aus den schwammigen Vorgaben der Führungsriege einen eindeutigen Handlungsrahmen für die ausführenden Mitarbeiter zu definieren. Das soziale Miteinander innerhalb des Unternehmens kann zusätzlich durch eine zu wenig durchdachte Personalauswahl beeinträchtigt werden. Hier haben inoffizielle Führungskräfte meist nicht die Möglichkeit einzugreifen. Werden unbequeme Entscheidungen gegenüber Störenfrieden von den Verantwortlichen nicht oder nur unzureichend getroffen oder wird sogar Personal akquiriert, das das sensible interne Gefüge stört, so kann dies schnell zu einem kaum mehr kontrollierbaren Faktor werden, mit sehr negativer Auswirkung auf die Motivation aller Mitarbeiter. Der Einfluss einer inoffiziellen Führungskraft ist daher begrenzt. Dies muss als Grundbedingung für die eigene Arbeit akzeptiert werden.

Der Blick der inoffiziellen Führungskraft beschränkt sich daher auf das, was beeinflussbar ist. Dabei handelt es sich in erster Linie um die zwischenmenschliche Ebene. So muss der jüngeren Generation vermittelt werden, dass mittelständische Unternehmen meist nicht an kurzfristigen Quartalsgewinnen interessiert sind. Genau das haben sie aber an den Hochschulen in Bezug auf die Konzernarbeit vermittelt bekommen. Im Mittelstand zählen die Kontinuität der Unternehmensexistenz, die Sicherung der Arbeitsplätze, sowie ein stabiler und langfristiger Unternehmenserfolg. Auch die Entscheidungswege verlaufen anders als in Konzernstrukturen, da die Hierarchien wesentlich flacher sind. Die Mitarbeiter der älteren Generation sind auf diese Werte gepolt. Ihnen gegenüber muss eher dafür geworben werden, dass Offenheit für neue Einflüsse und Ideen der jungen Generation für den langfristigen Unternehmenserfolg ebenso wichtig sind wie ihr breiter Erfahrungsschatz. Nur so kann ein Unternehmen rechtzeitig auf neue Marktimpulse reagieren. Die Herausforderung für die inoffizielle Führungskraft besteht also darin, die richtige Balance zwischen der Flexibilität der jungen Generation und der bewährten Erfahrung der älteren Generation herzustellen. Der Handlungsrahmen beschränkt sich dabei auf die Personen, die im eigenen Einflusskreis liegen. Von dort aus muss auf einen gewissen MultiplikatorEffekt gesetzt werden, der die restlichen Mitarbeiter des Unternehmens in der positiven Grundstimmung zueinander erfasst. Die Offenheit der Mitarbeiter ist dafür jedoch Voraussetzung.

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Das komplette Kapitel als eBook zum Download: Katrin Froschmeier – Führen ohne Vorgesetztenfunktion im Mittelstand – Chancen und Risiken (PDF)

Creative Commons LizenzvertragFühren ohne Vorgesetztenfunktion im Mittelstand – Chancen und Risiken von Katrin Froschmeier ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Design: Sonja Leppin
Illustrationen: Susanne Kasper

1 Kommentar

  1. Die Schilderungen treffen auf den Großteil der Mittelständischen Unternehmen zu und besonders wenn Innovationen erforderlich sind und erfolgreich angegangen werden sollen, schwillen diese Konflikte an und können erfolgskritisch werden. In einigen Branchen wirken sich bspw. die Umwälzungen der Digitalisierung existenzbedrohend aus, wenn nicht geeignete Rahmenbedingungen definiert oder erarbeitet und von den Mitarbeitern getragen werden.

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