Unsere Persönlichkeit schlägt die Brücke zur neuen Arbeitskultur

Mit innovativen Instrumenten die Arbeitswelt evolutionieren

Wer sich aus beruflicher Sicht oder privatem Interesse mit dem Phänomen der neuen Arbeitswelt auseinandersetzt, der wird die dazugehörigen Begrifflichkeiten schon auswendig kennen: Globalisierung, Digitalisierung, demographischer Wandel, Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Liste, die sich beliebig fortführen ließe. Dabei hat jeder der Begriff seine
Berechtigung und trägt zu den Entwicklungen, die wir momentan beobachten können, auf seine Weise bei. Ich habe nicht die Absicht, diese Liste noch mit eigenen – vermeintlich neuen – Begrifflichkeiten zu verlängern oder gar mit eigenen Deutungen noch weitere Phänomene hinzuzudichten. Davon gibt es mittlerweile genug, und es ist an der Zeit, mit konkreten Ansätzen zu Lösungen beizutragen, um der sogenannten neuen Arbeitswelt Struktur zu geben. Hierzu gehört ganz sicher die zunehmende Komplexität und schnellere Taktung. Ob diese nun aus dem immer kürzeren Halbwertszeiten neuer Erkenntnisse resultiert oder den damit verbundenen sich verkürzenden Innovationszyklen, in der gleichen Zeit müssen immer mehr Informationen verarbeitet oder generiert und verteilt werden. Der Segen der IT wird damit auch zum Fluch. Die Forschungen der Neurowissenschaften haben unser Wissen darüber, wie wir Sinneseindrücke und Informationen aufnehmen und verarbeiten – kurz, wie wir denken – grundlegend neu aufgestellt und bieten uns sehr interessante Ansätze, wie wir diesen Herausforderungen begegnen können. Aus meiner ganz persönlichen Erfahrung als Berater, der sich die letzten 30 Jahre in konkreten Projekten mit dem Humankapital in Unternehmen beschäftigt hat, möchte ich in den folgenden Kapiteln zeigen, welche Sichtweisen sich überholt haben, und ein innovatives Instrument vorstellen, das Organisationen helfen kann, sich auf evolutionäre Weise neuen Herausforderungen zu stellen.

Warum scheitern die Antworten von gestern auf die Fragen von heute und morgen?

In fast allen Unternehmen und insbesondere in denen, deren Organisation auf eine lange Tradition zurückblickt, wird der Taylorismus nach wie vor als primäres Organisationsmodell gepflegt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat das von F. Taylor entwickelte Prinzip des »Scientifi Management« in den USA und später auch in Europa rasch eine große Verbreitung gefunden: Produktionsprozesse wurden in kleinste Einheiten zerlegt und nacheinander geschaltet, die Arbeiter führten diese kleinen Arbeitsschritte aus. Aus ingenieurtechnischer Sicht und aus vielen Kostenüberlegungen heraus ein geniales System: Arbeiter mussten nur wenige Verrichtungen lernen, die sie sich in wenigen Stunden ohne weitere Vorbildung aneignen konnten. Das System konnte sehr schnell auf schwankende Auslastungen reagieren, ohne groß in Ausbildung zu investieren, und die Qualität war sehr genau beschreibbar und leicht zu überwachen durch eine neue Form des Mittelmanagements: Abteilungsleiter, deren primäre Aufgabe die Steuerung der Produktionsschritte im unterstellten Bereich war, und die mit Hilfe von Controllinginstrumenten die Leistungsvorgaben des Bereichs und der einzelnen Arbeiter effizient überwachen konnten. Produktverbesserungen konnten durch Austausch einzelner Schritte schnell erreicht werden, und man konnte damit schnell auf sich ändernde Kundenbedürfnissse reagieren beziehungsweise neue Bedürfnisse dadurch erst wecken. Das industrielle Wachstum und die große Vielfalt von Angeboten wären ohne Taylor kaum vorstellbar. Kein Wunder, dass sich die Prinzipien Taylors auch auf den Dienstleistungssektor übertragen haben und auch heute noch wirken.

Die Art und Weise, wie wir bisher Muskelkraft durch Technik und Robotik beziehungsweise mentale Aufgabenstellungen durch IT ersetzen, bestätigt nur, wie tief sich die Prinzipien Taylors festgesetzt haben. Denn auch heute gilt: Erst wird der sogenannte Produktions- beziehungsweise Geschäftprozess beschrieben und anschließend nach verschiedenen Kriterien unterteilt. Diese Unterteilungen werden dann zusammengefasst zu einer Stelle, und für diese Stelle sucht man schließlich den geeigneten Mitarbeiter. Kreativität und Quer- beziehungsweise Vernetzt-Denken werden nur gefragt, wenn diese zufällig Gegenstand des eigentlichen Geschäftprozesses sind, wie zum Beispiel in der Werbung. Wenn der gefundene Mitarbeiter durch seine Ausbildung oder Erfahrung mehr Fähigkeiten mitbringt als gefordert, werden diese über die Zeit veröden – Spezialisierung nennt man das dann. Ob dieser Gewinn an Spezialwissen den Verlust an sonstigen Fähigkeiten kompensiert, fragt niemand, und sicherlich wäre eine Studie interessant, die untersucht, wie hoch die Summe aller verlorenen Fähigkeiten in einem Unternehmen über einen bestimmten Zeitraum wirklich ist und welche Geschäftschancen dem Unternehmen damit für immer verloren gegangen sind.

Dabei entspricht dieser Taylorismus überhaupt nicht dem Wesen des in Europa verbreiteten Bildungsverständnisses. Eine breite Grundlagenbildung, die es dem Menschen erlaubt, Probleme zu erkennen und durch Ursachenanalyse und Zusammenhangswissen zu lösen, findet sich nach wie vor in den Curricula der Schulen und der beruflichen Ausbildungen. Warum findet sich dies nicht in den Unternehmen wieder? Weil der Taylorismus mit seiner Fokussierung alles, was über diesen Fokus hinausgeht, als überflüssigen Ballast und nicht als Chance sieht.

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Creative Commons LizenzvertragUnsere Persönlichkeit schlägt die Brücke zur neuen Arbeitskultur von Hans-Rainer Pohl ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Design: Sonja Leppin
Illustrationen: Susanne Kasper